Weißt du noch, wie oft uns Mama das Bild des „Familienbadetags” geschildert hat? Einer nach dem anderen – ab in die Wanne, bis alle sauber waren und das Wasser eiskalt. Später wurde dann täglich geduscht und nur das Auto war samstags noch dran. Es war aber auch immer was zu tun. An der Windschutzscheibe klebten die Fliegen. „Ja, früher gab es wenigstens noch Fliegen!”
Ach, jetzt komm du doch nicht gleich wieder mit dem moralischen Zeigefinger. Jaja, ich weiß, natürlich waren wir verschwenderisch mit dem Wasser, aber so war das früher, das war die Zeit. Und man musste sich doch auch was gönnen und seinem Auto auch. Jeder in der Straße hat samstags das Auto gewaschen und es schick gemacht für den Wochenendausflug. Schick waren auch Papa und Opa. Opa, der uns immer an den alten Pfarrer aus dem Nachbardorf erinnerte mit seinem dunklen Jackett und seinem Barett, von Papa immer „Franzosenmütze“ genannt. Nach Frankreich führten unsere Ausflüge aber so gut wie nie, dafür in den nächsten Baumarkt oder auf den Mannheimer Maimarkt. Mannheim haben wir nie wirklich gesehen, stattdessen kannten wir die Verkaufsstände für Bauherren, Hobbygärtner und Küchenfeen in- und auswendig. Auf der Heimfahrt war nicht nur der Kofferraum, sondern auch die Rückbank voll und unterwegs haben wir Butterbrezeln und Landjäger gegessen. Ausflüge unternahmen wir immer mit dem Auto und es gab Brezeln und Würstchen. Wir wären nie auf die Idee gekommen, dass man auch Wandern oder Radfahren könnte.
Erst viele Jahre später, als Papa die autofreien Sonntage zu „Familienradfahrtagen” ernannte. Wir, raus aus den Betten, Rucksäcke gefüllt und ungeduscht auf die Räder. Herrlich, wie ungestört wir auf den breiten Straßen ohne Autos gefahren sind. Kilometerweit, radeln, fahren, schwatzen, träumen, essen. Bis dir die erste Fliege ins Auge geflogen ist. Vollbremsung, Notoperation, Tränen und Fluchen. „Ja, früher gab es noch Fliegen.”

Mal was anderes, kannst du dich an die blaue Jacke von Papa erinnern? Hast du dir die nicht immer heimlich aus dem Schrank geklaut? „Ich?! Quatsch, weiß nicht, vielleicht einmal? Wieso, wie kommst du da jetzt drauf?” Ich musste gerade daran denken. Manchmal war uns das Outfit von Papa ein bisschen peinlich mit den weißen Turnschuhen und der blauen Jacke. Später, als wir cooler waren, haben wir unsere zu kleinen Füße verflucht und konnten uns nur die Jacke oder das ein oder andere Hemd heimlich ausleihen. Und die Brille! Weißt du noch die Brille, die jahre- nein jahrzehntelang in der Schublade im Wohnzimmerschrank lag, bis dein Exfreund sie entdeckt und mitgenommen hat? Beim nächsten Besuch hatte er sich Gläser in das Gestell machen lassen und die Brille wiederbelebt. Der Blick von unseren Eltern war herrlich. Schade, dass wir damals kein Foto gemacht haben!
„Ich dachte, das Brillengestell war vom Flohmarkt?”
Vom Flohmarkt? Nee, da haben wir nur Klamotten gekauft. Weißt du noch die Adidas-Sportjacken? Du hattest eine braune. Die war super und hatte vielleicht drei Mark gekostet.
„Und die edle weiße!”
Oh ja, die hat dir doch dann der eine Typ einfach aus dem Schrank geklaut.
„Stimmt, aber beim Tocotronic-Konzert in der Mannheimer Feuerwache hatte ich die noch an.”
Das weiß ich jetzt nicht mehr so genau. Ich kann mich aber sehr gut an unsere lustigen selbstgemalten Tocotronic-Shirts erinnern, mit denen wir rumgerannt sind und die wir auch verschenkt haben: Samstag ist Selbstmord – das war das Beste, oder?

Christine Breitschopf