Kurz bevor die Idee zu diesem Projekt entstand, starb Markus’ Mutter. An einem Dienstag im November. Nach ihrem Tod tauchten die Dias auf. Bilder, wie es sie in vielen Familien gibt – und doch war etwas anders. Durch einen Zufall, der in Gestalt des Hochwassers in jene Garage schwappte, in der die Bilder lagerten, hatten die Motive eine Verfremdung erfahren. Mutmaßlich durch Substanzen, die die Flut mitbrachte. Diese im Wasser gelösten Stoffe hatten wilde Farbverläufe auf die Lichtbilder gezeichnet, die nunmehr quer durch Gesichter verliefen, Details unkenntlich machten, manchmal aber auch fast wie Rahmen wirkten.

Auf mich übten die Dias vom ersten Moment an eine ungeheure Faszination aus. Weil sie Geschichten erzählten. Geschichten von wilden Kellerpartys, von Reisen mit dem Wohnwagen, von Gipfelkreuzstürmen, von kalten Buffets. Von den Eltern, von der Schwester, von Onkels, Tanten, Omas, Opas, Cousins und Cousinen. Schnell war die Idee da, den Dias Texte zur Seite zu stellen. Ich schickte die Garagen-Fundstücke also an mehrere Dutzend Menschen, an Autor:innen, Dichter:innen, Journalist:innen, aber auch Theatermacher:innen, Comiczeichner:innen und Maler:innen. Die bat ich, sich jeweils ein Motiv auszusuchen und dazu einen wie auch immer gearteten Text zu schreiben. Einzige Vorgabe: Es sollte im weitesten Sinne um das Thema Familie gehen. Viele der Adressierten nahmen den Ball auf und schickten mir ihre Beiträge. Eine Auswahl dessen, was mir gesandt wurde, findet sich auf dieser Webseite sowie in dem Buch „Mischpoke. Familienangelegenheiten“ (Connaisseur Verlag). Mit dem Leben der Personen auf den Dias hat keiner der Beiträge etwas zu tun, auch der Wahrheit waren die Schreibenden nicht verpflichtet.

Das Buch sollte eigentlich schon viel früher erscheinen. Aber manches war mühselig, anderes kompliziert und es kommt ohnehin immer anders, als man denkt. Kurz bevor das Buch fertig wurde, starb mein Vater. An einem Abend wenige Tage vor Weihnachten fiel er einfach um und stand nicht mehr auf. Mein Beitrag zu dem Projekt „Mischpoke“ erzählt von ihm, ist aber lange vor seinem Tod entstanden. Ich habe den Text nicht mehr verändert, obwohl natürlich alles anders ist. Ob er mit der Veröffentlichung einverstanden ist, kann ich ihn leider nicht mehr fragen. Aber das Buch habe ich ihm gewidmet.

Alexandra Wehrmann