Meine Eltern waren mir selten peinlich. Manchmal aber doch. Vor allem, als ich so zwölf war. Und feststellen musste, dass meine Mutter und mein Vater durchaus ein Leben neben der Elternschaft hatten. In dem sie nicht nur arbeiteten. Sondern auch, gerne und beizeiten, Gäste hatten, feierten, tranken, tanzten und zu allem Überfluss flirteten. Keineswegs nur miteinander. Das fand ich doof – wahrscheinlich angesichts eigener erwachender Sehnsüchte.
Ein großer Teil dieser vermeintlichen Exzesse spielte sich in der Kellerbar unseres Hauses ab. Die hatte mein Vater eigenhändig installiert. Sie war eine Mischung aus Altdeutsch und späten Seventies. Mit einem gewaltigen Tresen aus Eiche brutal, gedrechselten Säulen und Delfter Kacheln. Wobei die vorherrschenden Farben wider aller Gemütlichkeit in Knallgrün und Orange daherkamen. Vor allem auf dem Klöchen, das praktischerweise gleich mit eingebaut wurde.
Dort (also jetzt nicht auf dem Klöchen …) tobte das Leben. An dem meine kleine Schwester und ich nicht wirklich Anteil hatten. Aber mitunter waren wir wohl, bevor wir ins Bett geschickt wurden, am Anfang des Abends dabei. Denn sonst könnte ich mich ja nicht erinnern, wie mein Vater launige Reden schwang und meine Mutter – unvergessen im wollweißen Super-Minikleid mit dunkelbraunem Maxi-Chasuble – in alle Richtungen schöne Augen machte und schon ahnen ließ, dass sie zu späterer Stunde womöglich auf den Tisch steigen würde.
Gott, war das schrecklich. Und irgendwie auch wieder nicht. Denn wenn ich zu späterer Stunde, als ich eigentlich längst schlafen sollte, aus meinem Zimmer auf das Stimmengewirr und die Musik im Keller hinunterhorchte und mir eine Ahnung von Zigarettenrauch in die Nase stieg – dann hatte ich auch so etwas wie ein Glücksgefühl. Eine Art Verheißung auf die Zukunft.
Und tatsächlich: Ein paar Jahre später waren wir an der Reihe. Als ich meiner Mutter eröffnete, zu meiner großen Silvesterparty in der elterlichen Kellerbar müssten unbedingt Matratzen als Sitzgelegenheiten her, war es an ihr, peinlich berührt zu sein. Kind, wozu denn das? Hätte ich da sagen sollen: zum Knutschen?
Heute tut es mir leid, dass ich damals nicht offensiver war. Vielmehr abgewiegelt habe. Naja, ist doch bequem, so ne Matratze. Vielleicht hätte ich seinerzeit schon deutlicher sagen sollen, dass uns ein harmloser Schöne-Augen-Flirt nicht reicht. Wir hatten Lust und waren fest entschlossen, uns auszuprobieren, Grenzen zu überschreiten, aufzuräumen mit diesem elterlichen Bis-Hierhin-Und-Nicht-Weiter. Gäste haben, feiern, trinken, tanzen, alles schön und gut. Aber bitte dazu auch Kiffen und mindestens Petting und entflammte Reden gegen den Krieg.
Formuliert hab ich das nicht. Getan haben wir es natürlich trotzdem. Aber wir hätten mehr sprechen sollen. Mit denen, die den Partykeller erfunden haben – in dem Fall: mit Mama und Papa.
Naja, lange her. Inzwischen herrscht Ruhe da unten. Die Regale mit den geistigen Getränken sind abgebaut. In den Schränken für die Gläser lagern alte Akten. Meine Mutter sagt allenthalben: Kind, da müssen wir mal aufräumen. Ja, müssen wir. Irgendwann.
Claudia Holthausen