Ich sitze mit dir auf einer Decke im Wald. Wie seltsam verkleidet du aussiehst, so mit diesem Schleier, in diesem Blau. Ich flüstere dir ins Ohr: Ich erfinde ja die Katastrophen nicht, ich entwerfe nur die Formulierungen. Du lachst. Du lachst immer, wenn du nicht weißt, was du sagen sollst.
Ich trage noch immer diesen Bikini, weißt du noch, flüstere ich in Jennys Ohr. Doch Jenny hört mich nicht. Denn Jenny heißt jetzt Schwester Margarete und will von allen Menschen auch so genannt werden: Schwester Margarete. Damals im See, sage ich, an dieser einen bestimmten Stelle; Becki, warte auf mich, sagtest du, und dann bist du untergetaucht.
Vater hat wie immer seine alte, rot-schwarz karierte Luftmatratze ausgepackt, er hat das Hemd ausgezogen und liegt mit seinem Feinripp-Unterhemd auf dem weichen Gummi. Das sind meine Wochenendbilder im Wald: Vater, Theo und ich und hin und wieder ein paar Freunde. Jenny, flüstere ich in Schwester Margaretes Ohr und du zuckst zusammen. Ich mag deinen Blick, genauso, wie du mich jetzt gerade anschaust, ich flüstere in dein Ohr, jede Lehre, Jenny, birgt die Gefahr von Erkenntnis in sich, lass uns zum See gehen.
Was ihr denn da die ganze Zeit tuschelt, sagt Theo, der seinen Körper gefährlich nah zu meiner Seite gekippt hat. Fast schon spüre ich seine Brusthaare auf meiner Haut und ich meine, dass sein Bauch eine zusätzliche Falte bekommen hat; ach, Jenny, wenn du doch auch nur wieder im Bikini neben mir sitzen würdest, so wie früher.
Komm zurück, sage ich, und alle schauen mich an, ich meine diesen Vogel, sage ich, der da eben vorbeigehüpft ist, ich meine, dass er zurückkommen soll, er war so schön. Er hatte besondere Federn. Ich spüre, wie sich meine Lippe automatisch nach oben zieht, ich lächele, mein Kopf sinkt zu Boden. Vater fängt aus seiner liegenden Position wieder an, über die gestiegenen Brikettpreise zu reden und ich schneide ihm das Wort ab, jetzt lass mal gut sein, du und deine ewige Meckerei. Der aufkommende Windstoß trägt mir deinen achsobekannten Duft zu, lass uns zum See gehen, sage ich etwas lauter. Was ihr denn da in der Suppe wollt, sagt Vater, da komme ich gerade her, sagt Theo, das ist viel zu kalt und voller Algen.
Jenny schweigt. Wie es denn da so ist, wo du nochmal genau bist, Jenny, sagt Vater, also wie heißt nochmal diese Kirche, wo du jetzt wohnst, also so für immer, also ich meine, wo du jetzt hingehörst. Ich spüre, wie du ein wenig zögerst, du und deine Geschichte und dein Grund, warum du nicht mehr bei mir bist. Du und dein dich plötzlich in Jesus Verlieben, genau in diesem einen bestimmten Moment, wo du auf der Sommerwiese standest. Auf so einer Wiese mit Wildblumen, auf so einer Wiese, auf der wir beide nur zwei Jahre vorher auch gemeinsam standen, da hast du dich in Jesus verliebt. Was für ein Quatsch. Wir trugen keine Kleidung, erinnerst du dich noch an diese Wiese, damals vor ein paar Jahren, sage ich zu Jenny. Doch dein Blick ist starr nach vorne gerichtet und jetzt erst bemerke ich diesen jungen Herrn, der da vor uns mit seiner Kamera steht. Du hast ihn die ganze Zeit gesehen, du bist die einzige, die ihn gesehen hat, diese Erscheinung; sie hat sich in Jesus verliebt, Papa, reicht dir das nicht? Doch du hast schon angefangen mit deiner Erzählung, wie herzlich dich die Benediktinerschwestern aufgenommen haben, dass du dein Noviziat nun fast abgeschlossen hast und dass es bald um alles oder nichts gehe, um den Eintritt in den Orden, den ewigen Bund mit dem Herrn.
Du lächelst, während du das sagst, und ich empfinde Zärtlichkeit für dich. Ich will dir den Schleier herunterziehen und dich küssen und die Welt würde nur uns gehören, Becki, nicht so stürmisch, würdest du wieder sagen, und ich würde dich untertauchen, in die Tiefe, hinunter ins Wasser drücken würde ich dich und dann würdest du aufsteigen, zurück zu mir. Das, was du da gerade erzählt hast, hat sich irgendwo erschaffen. Das ist eine Geschichte, die nicht von hier kommt. Sie gehört nicht zu uns. Bedenke: Nur ich erfinde die Titel, nur ich schreibe die Geschichten; schau, wie braun meine Haut geworden ist, Jenny, und schau, wie blass dein Gesicht ist, zieh doch diese blaue Verkleidung aus, komm zurück, sage ich. Da war aber jetzt kein Vogel, sagt Theo, Theo nervt, Theo nervt, wie er schon vor zehn Jahren genervt hat, Theo, halt deine Klappe, sage ich, weißt du noch Jenny, wie er immer mit seinen Fäusten gegen die Tür geballert hat und wie wir uns in meinem Zimmer eingeschlossen haben. Und wie wir uns mit unseren Köpfen unter der Decke versteckten; die, die immer so fürchterlich kratzte. Erinnerst du dich, Jenny.
Ich rufe dir meine heutige Erfindung zu, ich sage, Jenny, denk doch mal an Herrn Berghaus, unseren Mathelehrer und an seine schwulstigen Lippen, die wie von einem Fisch aussahen, wie von diesem Fisch von Arielle, diesem Fisch, wie hieß er noch, Fabius, sagt Theo, dieser beknackte Fisch hieß Fabius. Endlich lachst du wieder, endlich spüre ich wieder diese alte Kinder-Erregung auf deinem Gesicht, oh, wie ich diese kleinen Falten um deinen Mund herum liebe, wie ich eine jede Vertiefung gerne jetzt berühren würde, wie da alles erneut in mir schmerzhaft wird.
Vater öffnet seine Bierflasche und schließt die Augen. Es sind noch Geräusche in der Welt, es ist also noch gestattet zu schlafen, sagt er und hebt kurz darauf den Kopf, um die Flasche am Mund anzusetzen und sie in einem Zug zu leeren. Ich beobachte diesen kleinen Knubbel in seinem Hals, der bei jedem Schluck auf und ab springt, und ich beobachte, wie er die leere Flasche neben sich im Gras ablegt und wie seine Atemzüge mit der Zeit immer tiefer werden. Wie lange wir dort so schweigend saßen; oh Jenny, ich weiß es nicht, Jenny, komm zurück. Meine Zunge, meine Sprache, wohin sie auch geht, ich muss ihr folgen, ihren schlüpfrigen Befehlen, Jenny, komm zurück, sage ich und neige mich dabei wieder zu deinem Ohr. Dieses Haar zu verstecken, es zu bedecken, Jenny, so rücke doch ein kleines Stück näher zu mir, bewege dich und werde wieder frei. Gelobt sei dein schwarzes Haar, das du nun so streng bedeckst, es hat sich doch schon so oft um meine Finger gekräuselt, erinnerst du dich? Jetzt endlich wendet sich Jenny meinem Körper zu und endlich ergreift sie meine Hand. Nun soll es soweit sein. Weißt du, Becki, es gibt so eine schöne Stelle in der Offenbarung des Johannes, davon möchte ich dir erzählen.
Ich bemerke die Ernsthaftigkeit in Jennys Augen, ich spüre, dass sie mir etwas ganz Wichtiges sagen möchte, ach, Jenny, komm her, sage ich, ich weiß ein Spiel, das heißt Abraham. Becki, sagt Jenny, du hast, oh Herr, dein Leben. So nimm denn meine Gabe, so höre, ob auch zu dir diese Stelle in der Offenbarung des Johannes spricht. Kleine Beschwörungen denke ich mir aus, jetzt für diesen Moment, in dem du mir gleich ganz nahe kommen wirst, oh, Jenny, so komm doch näher, berühre mich. Während du sprichst, bemerke ich, dass deine Zähne viel weißer als damals sind, als hätte das Leben im Kloster deine Zähne weißer gemacht; oh, ist das vielleicht möglich, dass Gott die Zähne schöner macht, wenn man so viel betet. Im Zufall meiner Zusammenkunft mit dir (warum sitzen wir eigentlich hier, im Wald, mit Vater und Bruder?) kämpfe ich gegen den Einmarsch der Vergangenheit, ich spüre, wie ich alles wieder sehe, wie alles wieder Wildblumenwiese wird, während du sprichst: Und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht finden, sie werden begehren zu sterben und der Tod wird vor ihnen fliehen.
Ich weiß, dass die Arbeit meines Körpers andauern wird, auch wenn die Seele längst eingestellt ist. Ich sage, Jenny, schau, da setzt sich uns eine Taube gegenüber, schau, wie wir nun verpflichtet sind, unser Schweigen zu brechen. Und dann stehst du auf und ich spüre, wie eine Hand über mein schwarzes Haar streift, ganz kurz, ganz sachte und wie ich zum Abschied nur meine Decke hissen kann, meine Hülle, meine Haut.
Vera Vorneweg